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Frankreichs Lust am Streiken

Text Nicole Hitzelberger 22 April 2023

Wenn in Frankreich gestreikt wird, weht immer ein Hauch von Revolution mit.

Jeder Paristourist kennt das, vorallem zur Zeit: die U-Bahnen fahren nicht, die Post wird nicht versandt, der Müll stapelt sich in den Hauseingängen. Wenn man es überhaupt bis nach Frankreich geschafft hat, weil vielleicht das Bahnpersonal streikt oder die Flughäfen blockiert sind.

Touristen erwarten förmlich an jeder Ecke streikende Franzosen anzutreffen, die fahnenschwingend wütende Parolen skandieren. Denn geben Sie zu, das passt ebenso gut in das Klischee der Franzosen wie Baguette, Vin Rouge und Olala: « Der Franzose revolutioniert ».

Unablässig. Zumindest seit der Revolution. Eigentlich schon immer: Schon zu Zeiten der Römer schreckte den Gallier nichts, außer dass ihm der Himmel auf den Kopf fallen könnte. Die Streiks und Eskalationen der letzten Wochen können dem romantischen Bild des charmanten Franzosen auf den Barrikaden nicht schaden, im Gegenteil. Doch wie sieht die Realität aus? Woher stammt dieses Klischee?

Die ersten Streiks…

Spätes Recht auf Streik

Noch im 19. Jahrhundert hatte der französische Staat eine sehr repressive Haltung gegenüber Arbeitsprotesten. Legalisiert wurde das Streiken in Frankreich erst 1864, 20 Jahre später gründeten sich die ersten Gewerkschaften. Bis zum Ersten Weltkrieg waren die Gewerkschaftsbewegungen sehr radikal und immer politisch, sie standen stets in Opposition zur autoritären Regierung. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts aber haben sie sich immer mehr der Regierung angenähert, die sich wiederum konstant dem Dialog öffnete. 1946 ist das Recht auf Streik anlässlich der Gründung der 4. Republik endgültig in der Verfassung verankert worden und wird als selbstverständliches Mittel des Protests angewandt.

„Man inszeniert, man okkupiert, man defiliert.“

Die Begründung in der Öffentlichkeitswirksamkeit des französischen Streiks: „Man muss drei Elemente berücksichtigen: Spontaneität, Theatralität, Generalisierung“. Die Spontaneität wird durch die französischen Gewerkschaften ermöglicht, denn hier gilt: „Die Basis entscheidet, die Gewerkschaften handeln.“ Die spontane Mobilisierung bewirkt ein viel turbulenteres Bild als etwa in Deutschland. Dort werden Entscheidungen erst nach langen Verhandlungen getroffen. Die Theatralität gehört zu jedem Streik: „Man geht auf die Straße, man inszeniert, man okkupiert, man defiliert.“ Charakteristisch für Frankreich schließlich sind die großen Generalstreiks. Es gibt in Frankreich weniger Streiks als in anderen Ländern, aber sie sind größer, sie sind interprofessionell. Dies ist eine Tradition seit dem ersten großen Streik 1936, in dem viele Berufsgruppen gemeinsam für Lohnerhöhungen kämpften. Seinen Höhepunkt fand diese Methode im Jahr 1968 im größten Streik, den Frankreich bis heute erlebt hat.

Nicht alle Franzosen sind für den Streik…wirklich ?!

Doch eins bleibt bei diesem Bild oft unberücksichtigt: Nicht alle Franzosen befürworten solche Art der Proteste. Ein gespaltenes Land. Es gibt eine starke Rechte, die mit Schlagwörtern wie Freiheit der Arbeit und Schutz der Produktion gegen die Okkupationen und Blockaden angeht. Zudem seien die großen Errungenschaften der französischen Kultur durch Gesetze in Ruhe und ohne Straßenkämpfe erworben worden: Meinungsfreiheit, Versammlungsfreiheit, das Recht zu demonstrieren.

Auch das französische Auswärtige Amt versucht dem Bild des streikenden Franzosen entgegenzuwirken und betont in seinem Internetauftritt, dass Italien und Spanien wesentlich öfter streiken und die USA viel länger.

Jedoch muss man trotz aller widersprechenden Fakten eingestehen: „Im Herzen der französischen Gesellschaft existiert eine gewisse Liebe für den Protest, für die Demonstration, für die Mobilisierung.“ Dagegen hilft auch keine Statistik

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