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Karl Lagerfeld – Der deutsche Kaiser der Pariser Mode

Text Nicole Hitzelberger 23 März 2019

Karl Lagerfeld stammte aus einer anderen Generation, der stillen Generation, wie sie genannt wird, oder die der „lucky few“: Eine Generation, die in der blühenden Mitte des letzten Jahrhunderts volljährig wurde, wo neue Ideen reichlich vorhanden waren, die Beschäftigungsquoten hoch, die Hypothekenzinsen niedrig und die Gesellschaft begann, das Kriegsgespenst zu überwinden. Eine Generation, für die der Ruhestand in weiter Ferne lag, weil sie im Hier und Jetzt lebten. So auch Karl Lagerfeld: „Weißt du, wie lange mein Vertrag noch dauert? Bis 2045 “, antworte er einem Journalisten, der es wagte, ihn nach seinem Nachfolger zu fragen.

Sogar im Alter von 85 Jahren, nachdem er sich einen räudigen Hipster-Bart hatte wachsen lassen um seine Krankheit und seinen Gewichtsverlust zu verstecken, wobei seine fehlenden Zähne dennoch zum Vorschein kamen, hörte er nicht auf, zu kreieren und zu entwerfen. Beinahe als ob er so seinem Alter und seinem nahen Ende entfliehen wollte. Doch anders als die letzten 30 Jahre zeigte er sich nach der CHANEL-Couture-Präsentation im Januar am Ende nicht, um sich applaudieren zu lassen. Virginie Viard, seine rechte Hand im Studio der Kreation CHANEL, die auch als seine Nachfolgerin angekündigt wurde, sprang für ihn ein, weil er sich „müde“ fühlte. Er war die menschliche Verkörperung des Satzes: „Wenn Sie aufhören, sterben Sie.“ 2007 sagte er dem New Yorker Journal:

„Ich mache meinen Job so, wie ich atme. Wenn ich also nicht atmen kann, habe ich Schwierigkeiten.“

Der 1933 in Hamburg geborene Lagerfeld machte ein Geheimnis aus seinen Wurzeln. War er der adlige Sohn von „Elisabeth von Deutschland“ und Otto Ludwig Lagerfeldt von Schweden, wie er oft behauptete? Nicht wirklich… Lagerfeld war tatsächlich der Sohn aus der zweiten Ehe des Kondenzmilchbaron Lagerfeld (seine erste Frau war verstorben) und einer ehemaligen Damenwäscheverkäuferin. Trotzdem wurde er für uns durch seine unermüdliche Kreativität, Intelligenz und Schlagfertigkeit zum „Kaiser Karl“. So erhielt er doch noch den aristokratischen Titel, mit dem er so gerne geboren worden wäre.

Sein Zeit- und Modekreativgenosse Yves Saint Laurent wurde zu einem guten Freund Lagerfelds, nachdem sie gemeinsam 1954 am Designwettbewerb des Internationalen Wollsekretariats teilgenommen hatten. Später jedoch wurden sie zu großen Rivalen im gnadenlosen Dschungel der  Modewelt. Ihre Rivalität verstärkte, dass Jacques de Bascher, der zwei Jahrzehnte lang (bis zu seinem Tod durch Aids) Lebensgefährte von Lagerfeld war, eine Affäre mit Yves Saint Laurent hatte. 

Lagerfeld begann als Assistent von Pierre Balmain und arbeitete sich schließlich zum Chefdesigner bei Chloé auf. 1965 wurde er zum Kreativdirektor von Fendi ernannt. Der Ruhm kam jedoch 1983, als er zum Kreativdirektor des Hauses Chanel ernannt wurde. Obwohl ihm abgeraten wurde, den Posten anzutreten, da die Marke Chanel zu diesem Zeitpunkt als altmodisch und überholt galt, entschied er sich trotz des Gegenwinds, die Stelle als eine Herausforderung anzunehmen.

CHANEL Fashion Show

Das Modehaus Chanel gab Lagerfeld nicht nur ausreichend finanzielle Mittel, sondern auch Zugang zu den Archiven und freie Hand in allem. Er wiederum bot dem Haus Chanel seine glänzende Persönlichkeit, sein Talent und seinen unersättlichen Appetit an Kreativität und Produktivität.

Alles passte, das Duo Lagerfeld Chanel funktionierte! Lagerfeld machte sich einen Namen an der Spitze von Chanel, wo er eine ebenso ikonische Präsenz erschuf wie die Namensgeberin des Labels „Coco Chanel“. Sie hatte ihr kleines schwarzes Kleid, Perlenketten und eine fortwährende Zigarette, die an ihren Lippen klebte; Karl hatte seine dunkle Sonnenbrille, fingerlose Handschuhe, seinen Pferdeschwanz und die Gewohnheit, Diet Coke zu trinken. Lagerfeld war ein Meister seiner Arbeit. Er kreierte Designelemente, die so unauslöschlich sind, dass sie sich kaum einer Person zuzuordnen scheinen: Chanels ineinandergreifendes C-Logo, die gesteppten Handtaschen und die zweifarbigen Pumps. Jedoch hatte er noch etwas Beständigeres geschaffen, nämlich eine erfolgreiche Karikatur seiner selbst.

Lagerfeld verkörperte das Bild eines störenden Designers, dessen brillante Designs manchmal von seinem absurden Verhalten überschattet wurden. Lagerfeld neigte dazu, markante Erklärungen abzugeben: „Jogginghosen sind ein Zeichen der Niederlage. Die, die sie tragen, haben die Kontrolle über ihr Leben verloren.“ Jedes Mal, wenn Lagerfeld einen abweichenden Kommentar machte, war es noch Tage später Thema der Klatschpresse. Er war „allergisch“ gegen Flipflops, verhöhnte Selfies als eine Form der „elektronischen Masturbation“ und verspottete die, die Kritik an dünnen Models äußerten, als „fette Mumien, die mit ihren Chips vor dem Fernseher sitzen“. 

In den letzten zehn Jahren jedoch hielt er sich ein wenig zurück mit solchen unhöflichen „Mätzchen“. Das Kräfteverhältnis verschob sich und am Ende wurden marginalisierte Stimmen gehört, nachdem sie zu lange in die Stille geraten waren. Es ist nicht mehr lustig, gemein zu sein. Die Welt hat sich verändert, aber Karl ist derselbe geblieben.

Der 19. Februar 2019, Todestag Karl Lagerfelds, wird in die Geschichte eingehen. Ähnlich wie bei John F. Kennedy wird man sich fragen: „Wo warst du, als Karl Lagerfeld starb?“

Lagerfeld bedeutete der Modewelt sehr viel, aber ich vermute, dass die wirklichen Auswirkungen seines Todes erst nach Jahren sichtbar und spürbar werden. Die Modebranche befindet sich mitten in einem seismischen Wandel, und Lagerfelds Tod könnte eine Abgrenzung der Zeitperioden symbolisieren, in denen die neue Sensibilität die alte ersetzt. Das Modesystem befindet sich mitten in einem schmerzhaften und langwierigen Tod und versucht, sich selbst neu zu definieren. Noch hat es die Abhängigkeit zu Runway-Shows und Printmedien nicht losgelassen, zwei Institutionen, die sich jetzt besonders alt fühlen. Vielleicht wird Lagerfelds Tod die Entwicklung hin zu einer neuen (Mode-) Weltordnung beschleunigen.

Ich möchte diese Hommage an den « Kaiser Lagerfeld  mit seinen eigenen Worten beenden: „Ich habe immer gewusst, dass ich so leben musste, dass ich diese Art Legende sein würde.“ 

RIP Kaiser Karl

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